Gesundheits-Apps für Krebsbetroffene

Apps gibt es wie Sand am Meer – gerade im Gesundheitsbereich. Woran erkennt man eine gute Gesundheits-App? Welche sind für Krebsbetroffene hilfreich? Dr. Ursula Kramer von HealthOn, einer Informations- und Bewertungsplattform für Gesundheits-Apps, stand der Deutschen Krebsstiftung für ein Interview zur Verfügung.

Lifestyle-Apps, z. B. Fitnesstracker, kennen und nutzen mittlerweile viele Menschen. Welche Arten von Gesundheits-Apps gibt es darüber hinaus und wie unterscheiden sie sich von den Lifestyle-Apps?

Dr. Ursula Kramer: Für die Entstehung vieler Krebserkrankungen spielt der Lebensstil eine entscheidende Rolle. Apps, die uns dabei helfen, unsere Ernährungs-, Bewegungsgewohnheiten und auch unseren Umgang mit Stressbelastungen positiv zu verändern, können einen Beitrag leisten zur Gesundheitsvorsorge im Allgemeinen und damit auch zur Krebsvorsorge.

Dazu zählen Entspannungs-, Ernährungs- oder auch Trainings-Apps, die häufig nicht nur über die Bedeutung eines gesunden Lebensstils aufklären. Viele leiten z. B. mit Videos die Durchführung von Entspannungs- oder Bewegungsübungen an, die man dann einfach unterwegs oder zuhause in Eigenregie durchführen kann und dabei neue Entspannungstechniken erlernt. Auch das Führen eines Ernährungstagebuchs und die Analyse des Essverhaltens sind mit einer App häufig viel einfacher als mit Papier und Bleistift. Mit digitalen Tagebüchern lassen sich Trainingspläne außerdem besser nachverfolgen. Sieht man Erfolge, z. B. wie die Gewichtskurve langsam abfällt oder sich die Anzahl der täglichen Schritte oder die Übungseinheiten über die Zeit steigern, während man sich dabei wohler fühlt, kann das helfen, dranzubleiben.

Mit dem Inkrafttreten des „Digitale Versorgungs-Gesetz“ (DVG) können bestimmte digitale Gesundheitsanwendungen für gesetzlich Versicherte zu einer Kassenleistung werden. Für welche Apps gilt das?

Dr. Ursula Kramer: Die Verordnung auf Rezept ist bisher nur für wenige Gesundheits-Apps möglich, diese Apps richten sich allesamt an Menschen, die unter chronischen Erkrankungen leiden. Bis Ende des Jahres waren es 10 Gesundheits-Apps, die auf Rezept verordnet werden können. Man nennt diese verschreibungsfähigen Apps auch kurz DiGAs. Nur wenn eine digitale Gesundheitsanwendung als sog. Medizinprodukt zertifiziert ist – das ist für den Anwender erkennbar am CE-Kennzeichen – kann sie seit Oktober 2020 in einem neuen Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel- und Medizinprodukte BfArM, dem sog. DiGA-Verzeichnis gelistet und danach als Kassenleistung auf Rezept verordnet werden.

Diese Apps haben alle eine sog. „Medizinische Zweckbestimmung“, d. h. sie dienen der Verhütung, Linderung oder Therapie von Erkrankungen und müssen den Nachweis dafür in einem sehr aufwändigen Verfahren erbringen. Sie müssen zeigen, dass sie die Wirkungen, die sie bewerben – z. B. Reduzierung von Schmerzen, Wiederherstellung der Beweglichkeit oder die Verbesserung der Schlafqualität – tatsächlich auch erbringen können. Sie müssen darstellen, ob es Risiken für die Anwender dieser Apps gibt und wenn ja, welche Schäden im schlimmsten Fall durch diese Anwendungen verursacht werden. Nur wenn sich die App mit einem vertretbaren Risiko für den Nutzer anwenden lässt und die Vorteile für den Patienten die Risiken übersteigen, können sie als Medizinprodukte in Verkehr gebracht werden.

Die Apps, die bisher verschreibungsfähig sind, zielen alle darauf ab, den Anwender beim Selbstmanagement einer chronischen Krankheit zu unterstützen, in jedem Fall muss der Anwender selbst aktiv werden, d. h. Übungen durchführen, Symptome oder Tabletteneinnahme in Tagebüchern eintragen. Eine digitale, einfache und überall nutzbare Anleitung, die bei der Veränderung von Lebensgewohnheiten hilft oder die den Erwerb neuer Kompetenzen unterstützt, das sind die Hebel, über die digitale Therapie wirken.

Das können z. B. Eigenübungen in der Rehaphase nach einem Schlaganfall sein,  psychotherapeutische Selbsthilfe-Einheiten, die dabei helfen, die Belastungen von störenden Ohrgeräuschen (Tinnitus), von Angststörungen oder Depressionen zu reduzieren, oder die Therapie von starkem Übergewicht bzw. die Physiotherapie bei Gelenkschmerzen unterstützen.

Gibt es auch Apps für die Krebsprävention?

Dr. Ursula Kramer: Apps können auch im Rahmen der gezielten Krebsfrüherkennung genutzt werden, so gibt es z. B.  Anleitungen zur regelmäßigen Selbstuntersuchung der Brust oder Apps, mit denen sich auffällige Muttermale einschätzen lassen, mit dem Ziel, Hautveränderungen früher zu erkennen. Den Arztbesuch ersetzen sie aber keinesfalls.

Auch die sog. Symptom-Checker eröffnen neue Möglichkeiten. Sie fragen Krankheitssymptome ab und berechnen anhand dieser Angaben, welche Erkrankungen dahinterstecken könnten und wie wahrscheinlich die Symptome einer bestimmten Erkrankung zuzuordnen sind. Mit diesen digitalen Entscheidungshilfen lässt sich eine erste Einschätzung treffen, ob es sich um harmlose Bagatellsymptome handelt, oder ob es besser ist, einen Arzt aufzusuchen, um Veränderungen am Körper abzuklären. Insbesondere bei der Erkennung seltener Erkrankungen kommen die Vorteile von Symptom-Checkern zum Tragen, sie arbeiten mit modernen Methoden der Künstlichen Intelligenz und können so auch sehr seltene Diagnosen in Betracht ziehen, die ein Hausarzt in seiner Praxis praktisch nie zu sehen bekommt, nicht kennen kann und daher in der Regel „übersieht“.

Mit dem Inkrafttreten des „Digitale Versorgungs-Gesetz“ (DVG) sind bestimmte digitale Gesundheitsanwendungen für gesetzlich Versicherte zu einer Kassenleistung geworden. Für welche Apps gilt das?

Dr. Ursula Kramer: Nur wenn eine digitale Gesundheitsanwendung als sog. Medizinprodukt zertifiziert ist – das ist für den Anwender erkennbar am CE-Kennzeichen – kann sie seit Oktober 2020 in einem neuen Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel- und Medizinprodukte BfArM, dem sog. DiGA-Verzeichnis gelistet und danach als Kassenleistung auf Rezept verordnet werden. Im Bereich Krebs sind das derzeit – im Frühjahr 2023 zwei Apps, die alle vorläufig in das Verzeichnis aufgenommen wurden. (https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis?search=Krebs&type=%5B%5D)

Was bedeutet das?

Dr. Ursula Kramer: Diese Apps haben alle eine sog. „Medizinische Zweckbestimmung“, d. h., sie dienen der Verhütung, Linderung oder Therapie von Erkrankungen und müssen den Nachweis dafür in einem sehr aufwändigen Verfahren erbringen. Die App-Hersteller müssen anhand von Studien zeigen, dass sie die Wirkungen, die sie bewerben, tatsächlich auch erbringen können. Außerdem müssen sie darstellen, ob es Risiken für die Anwender dieser Apps gibt und wenn ja, welche Schäden im schlimmsten Fall durch diese Anwendungen verursacht werden. Nur wenn sich die App mit einem vertretbaren Risiko für den Nutzer anwenden lässt und die Vorteile für den Patienten die Risiken übersteigen, können sie als Medizinprodukte in Verkehr gebracht werden.

Weil diese Studien in der Regel lange dauern und sehr teuer sind, hat der Gesetzgeber mit dem sog. Fast Track Verfahren den Herstellern digitaler Anwendungen einen Sonderweg eröffnet. Als sicher eingestufte DiGAs können im Verzeichnis vorläufig gelisteten werden. Hersteller haben dann 12 Monate Zeit, ihre Wirksamkeit nachzuweisen und werden in diesen 12 Monaten bereits von den Krankenkassen erstattet.

Gelingt es nicht, die Wirksamkeit zu belegen, wird die DiGA nach 12 Monaten aus dem Verzeichnis gelöscht, das ist bei einer Krebs-App aktuell geschehen Kann ein Anbieter die Wirksamkeit bereits bei der Antragstellung überzeugend nachweisen, wird die App dauerhaft ins Verzeichnis aufgenommen, d. h. sind kann dann auch dauerhaft  von Krankenkassen erstattet werden.

Was können Krebsbetroffene von den Apps im DiGA-Verzeichnis erwarten?

Dr. Ursula Kramer: Das ist unterschiedlich. Die Krebs-Apps, die bisher verschreibungsfähig sind, zielen alle darauf ab, Anwender beim Selbstmanagement ihrer Krebserkrankung  zu unterstützen. Das kann beispielsweise ein elektronisches Tagebuch sein, mit dem sich Beschwerden eigenständig erfassen lassen und das je nach Erkrankung und den laufenden Therapien automatisiert entsprechende Verhaltenshinweise gibt. Das können auch Übungen aus der kognitiven Verhaltenstherapie für psychisch belastete Patient*innen sein oder andere einfach und überall nutzbare Anleitungen, die bei der Veränderung von Lebensgewohnheiten helfen oder die den Erwerb neuer Kompetenzen unterstützen.

Was muss ich tun, wenn ich eine solche App nutzen möchte?

Dr. Ursula Kramer: Apps, die auf Rezept verordnet werden können, sind ähnlich wie Arzneimittel nur für bestimmte Krankheitsbilder zugelassen, bisher gibt es nur für die digitale Therapie von Brustkrebs solche „Apps auf Rezept“ Am Anfang steht immer die gesicherte ärztliche Diagnose, die Voraussetzung ist für die Verordnung und Erstattung einer DiGA. Patient*innen sollten also immer zuerst ihren Arzt ansprechen.

Wenn die Diagnose feststeht und die betreffende App für diese Erkrankung zugelassen ist, können Versicherte auch bei ihrer Krankenkasse nachfragen.  Als Patient erhalte ich dann einen Freischaltcode, mit dem ich die App kostenfrei nutzen kann, die Kasse erstattet dem Hersteller die Kosten. Ein frei zugängliches Verzeichnis der Apps, die derzeit erstattungsfähig sind, finden Interessierte im DiGA-Verzeichnis auf der Webseite des BfArM.

Sind denn Krebs-Apps, die nicht im DIGA-Verzeichnis gelistet sind, unwirksam oder schädlich?

Dr. Ursula Kramer: Die allermeisten Krebs-Apps für Betroffene sind keine Therapie-Apps im engeren Sinne, d. h. der Patient nutzt sie im eigenen Ermessen, um mit den Belastungen der Erkrankung in der Therapie- oder der Reha-Phase besser klarzukommen. Sie unterstützen mit Informationen, mit Tipps zur Lebensführung oder durch den Austausch mit anderen Betroffenen. Dazu braucht es – anders als bei den Therapie-Apps auf Rezept, den sog. DiGAs – keinen strengen Wirksamkeitsnachweis im Rahmen klinischer Studien. Aber auch diese Apps können helfen, z. B. die eigene Entscheidungskompetenz stärken, das Krankheitswissen erweitern, um so dem Kontrollverlust, den viele Menschen mit einer Krebserkrankung erleben, entgegenzuwirken.

Schädlich werden diese Krebs-Apps, wenn die Informationen, die sie liefern, nicht korrekt oder durch Produkt- oder Firmeninteressen verzerrt sind. Schädlich können sie auch werden, wenn Nutzerdaten aus Tagebüchern oder Chats nicht hinreichend geschützt werden, so dass diese in unbefugte Hände gelangen. Während man sich als Nutzer einer App auf Rezept oder einer CE-gekennzeichneten Medizinprodukte-App in diesem Punkt relativ sicher sein kann, ist man bei anderen Krebs-Apps selbst gefordert, diese Risiken einzuschätzen. Es gibt einige neuralgische Punkte, die man dazu abchecken kann, bevor man einer App vertraut. Die Europäische Union arbeitet derzeit an einem Siegel, dass Nutzer:innen von Apps bei der Einschätzung helfen soll. Bis dieses „Label2enable“ verfügbar sein wird, können Checklisten vom Aktionsbündnis Patientensicherheit oder von HealthOn Unterstützung bieten. Sie basieren auf den Qualitätskriterien „Gute Praxis Gesundheitsinformationen“ vom Netzwerk evidenzbasierte Medizin.

Wird möglicherweise auch die Krebsforschung von Apps profitieren?

Dr. Ursula Kramer: Auch das, ja. Zum Beispiel könnten Betroffene über Krebs-Apps einfacher  Zugang zu klinischen Studien bekommen, in denen neue Therapieansätze erforscht werden. Die Hoffnung auf einen starken Push der Krebsforschung ist auch mit der Einführung der elektronischen „Patientenakte (ePA) für alle“ verknüpft. Wenn dort zukünftig von mehr als 73 Millionen gesetzlich Versicherten alle Behandlungsdaten digital abgelegt sind,  entsteht ein riesiger Datenpool, dessen Nutzung zu Forschungszwecken große Chancen eröffnet.

Die ePA wird zur wichtigsten Krebs-App: Können Sie erklären, was damit gemeint ist?

Dr. Ursula Kramer: Gerade Menschen mit Krebserkrankungen sind darauf angewiesen, dass der medizinische Fortschritt vorangetrieben wird und neue Therapien schneller bei den Menschen ankommen. Die zentrale App, die quasi einen „Innovationsturbo“ für bessere Krebsforschung bietet, wird die elektronische Patientenakte sein. Dort werden zukünftig die Diagnostik- und Therapiedaten aller Versicherten erfasst und zwar lange bevor eine Krebserkrankung diagnostiziert wird. Durch die Forschung mit diesen Daten können die Ursachen von Krebserkrankungen analysiert und die verfügbaren Konzepte zur Früherkennung und Therapie von Krebs verbessert werden. „Daten teilen, besser heilen“ – das ist der Leitgedanke und Antrieb des neuen Gesundheitsdatennutzungsgesetzes GDNG, das  grundsätzlich neu regeln wird, wie wir Gesundheitsdaten von Versicherten zu Forschungszwecken nutzen und daraus neue Erkenntnisse zum Nutzen der Solidargemeinschaft aller Versicherter ableiten können.

Dieses Gesetz bildet zusammen mit dem Digitalgesetz, die Grundpfeiler der neuen Digitalisierungsstrategie des Bundesministeriums für Gesundheit. Es soll eine elektronische Patientenakte ePA für alle geben und auch ein elektronisches Rezept, beides sind Angebote, die für die meisten unserer europäischen Nachbarn längst Realität sind. Die elektronische Patientenakte soll im sog. Opt-out-Verfahren für jeden Versicherten ab 2024 eingerichtet werden.

Jeder Versicherte – ganz gleich, wie gut er mit Computer oder Smartphone umgehen kann – soll ohne großen Aufwand in der Lage sein, die Akte selbst zu nutzen und im Behandlungsfall Therapeuten Zugriff geben zu können. Daher liegt ein Schwerpunkt auf einer einfachen Bedienbarkeit der Akte. Informationen über Grunderkrankungen, Allergien und Medikamente, die eingenommenen werden, sollen zukünftig immer dann griffbereit sein, wenn sie gebraucht werden. Nicht nur der Hausarzt, sondern auch der Facharzt oder im Notfall das Krankenhaus können dann schneller und besser entscheiden, wie dem Patienten am besten zu helfen ist. Wer diese Patientenakte nicht will, kann der Nutzung widersprechen, dann werden dort keine Behandlungs- Medikations- oder Notfalldaten des Patienten abgelegt.

Können Sie abschließend sagen, wo die Vorteile und die Grenzen von Gesundheits-Apps liegen?

Dr. Ursula Kramer: Jeder Patient reagiert auf Therapien anders, hat andere Begleiterkrankungen und ein anderes soziales Umfeld. Mit Daten, die Patienten täglich z. B. in digitalen Tagebüchern mit Krebs-Apps erfassen, und mit den Daten aus der elektronischen Patientenakte verbreitert sich die Entscheidungsgrundlage für die Wahl der individuell besten Therapie. Ärzte können Therapien besser auf den Patienten abstimmen, d. h. früher in die Therapie eingreifen oder Dosierungen besser anpassen, Arzneimittel ggf. absetzen oder auf therapeutische Alternativen wechseln. Daran knüpft sich die Hoffnung, dass Krebstherapien durch die Nutzung digitaler Helfer und der damit erfassten Gesundheitsdaten besser wirken und verträglicher werden.

Doch auch in der digitalen Welt wird Gesundheit kein Selbstläufer: Die aktive Mitwirkung des Patienten und das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis bleiben weiterhin die zentralen Pfeiler für den Therapieerfolg.

Quellen und weiterführende Links


 
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