Wenn der Krebs in den Genen liegt
Hayriye Oğuz war arbeitslos, als sie die Diagnose Brustkrebs erhielt. Dass ihre Erkrankung genetisch bedingt war, stellte sich erst später heraus. Denn die Kostenübernahmen des Tests, der das Vorhandensein eines krankheitsauslösenden Gens nachweisen kann, wurde ihr zunächst verweigert. Nach mehreren Anläufen erhielt sie Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe – dem BRCA-Netzwerk. Im Interview schildert sie ihre Erfahrungen mit der Erkrankung.
Nicht alle Krankenkassen erstatten die genetische Beratung. Wie war das bei Ihnen?
Hayriye Oğuz: Zunächst war nicht klar, dass es sich um einen genetisch bedingten Krebs handelt. Man bot mir zwar einen Gentest an. Aber meine Krankenkasse verweigerte zunächst die Kostenübernahme und ich musste dagegen Widerspruch einlegen. Das hat mich wertvolle Zeit gekostet. Hätte das Ergebnis meines Gentests frühzeitig vorgelegen, wäre mir die Strahlentherapie nach der Chemotherapie vielleicht erspart geblieben.
Frau Oğuz, wann ist der der Krebs bei Ihnen aufgetreten und wie geht es Ihnen heute?
Hayriye Oğuz: Das war ein Zufallsbefund Ende Januar 2018. Ich war wegen eines anderen Problems bei meiner Gynäkologin und sie fragte mich, ob wir nicht auch eine Vorsorgeuntersuchung machen sollten. Dabei ertastete sie den Tumor. Bei der Mammographie ein Jahr zuvor war noch alles okay gewesen. Danach ging alles Schlag auf Schlag.
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Um meinen Gentest erstattet zu bekommen, musste ich Widerspruch einlegen.
Hayriye Oğuz, BRCA-Netzwerk (Bildnachweis: privat)

Welche sozialen Folgen hatte die Erkrankung für Sie?
Hayriye Oğuz: Ich hatte vor meiner Erkrankung gemeinsam mit meiner Schwester meinen Vater, ebenfalls krebskrank, gepflegt. In dieser Zeit kündigte mir mein langjähriger Arbeitgeber. Weil dann auch meine Mutter schwer erkrankte, hatte ich mich entschlossen, zum Ende der Gehaltsfortzahlung zunächst in die Arbeitslosigkeit zu gehen. 2018, zum Zeitpunkt meiner Krebsdiagnose wollte ich gerade wieder beruflich durchstarten. Durch meine Erkrankung fiel ich von der Arbeitslosigkeit direkt in den Krankengeldbezug. Meine größte Angst war tatsächlich, dass ich durch die Erkrankung zur Hartz-IV-Empfängerin werde.
Hatten Sie sozialrechtliche Beratung?
Hayriye Oğuz: Ich war weitgehend auf mich allein gestellt. Die einzige Hilfe, die ich vom Sozialdienst meines Krankenhauses erhielt, betraf die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises. Für alle anderen Fragen habe ich mich entweder an die Brustkrebs-Community in den Sozialen Medien gewendet oder selbst recherchiert.
Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Hayriye Oğuz: Als mir mein Onkologe nach der Strahlentherapie die Anschlussheilbehandlung empfahl, hielt ich das für eine gute Gelegenheit, nach einer anstrengenden Behandlung wieder zu Kräften zu kommen. Was ich nicht bedacht hatte: Kommen die Ärzte in der Reha-Maßnahme zum Schluss, dass eine Wiederaufnahme der Arbeit nicht möglich ist, dann gilt der Antrag auf Reha automatisch rückwirkend als Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Die ist auf alle Fälle niedriger als das Krankengeld. Tatsächlich wurde ich dann als nicht erwerbsfähig eingestuft und erhielt eine vorübergehende Erwerbsminderungsrente, und zwar ab dem Zeitpunkt der Antragsstellung der Anschlussheilbehandlung. Mit einer guten Sozialberatung hätte ich die Anschlussheilbehandlung sicher später begonnen.
Sie sind mittlerweile im BRCA-Netzwerk, einer Selbsthilfeorganisation für Frauen mit genetisch bedingtem Brustkrebs, tätig. Wie kam es dazu?
Hayriye Oğuz: Mehr oder weniger zufällig. Bei einem Kurs der Hamburger Krebsgesellschaft lernte ich Simone kennen, die bereits im BRCA-Netzwerk aktiv war. Das Netzwerk kannte ich schon – ich hatte mich an diese Patientenorganisation gewandt, um Unterstützung bei der Kostenübernahme des Gentests zu bekommen. Mittlerweile leiten Simone und ich den Hamburger Standort des BRCA-Netzwerks gemeinsam. Im Netzwerk habe ich auch die Funktion der bundesweiten Migrationsbeauftragten übernommen. Denn aufgrund meiner türkischen Wurzeln ist mir die Situation betroffener Frauen mit Migrationshintergrund vertraut. Das bedeutet zunächst einmal, viele Gespräche zu führen und auf Veranstaltungen oder in sozialen Medien auch in türkischer Sprache präsent zu sein.

