Apps auf Rezept bei Krebs

Apps gibt es wie Sand am Meer – gerade im Gesundheitsbereich. Seit dem Inkrafttreten des „Digitale Versorgungs-Gesetzes“ (DVG) sind bestimmte digitale Gesundheitsanwendungen für gesetzlich Versicherte sogar zu einer Kassenleistung geworden. Doch welche Apps können bei einer Krebserkrankung verschrieben werden?

Und welche Voraussetzungen müssen sie dafür erfüllen? Die Expertin Dr. Ursula Kramer, Gründerin von HealthOn, einer Qualitätsplattform für Gesundheits-Apps, gibt Auskunft.

Frau Dr. Kramer, was zeichnet eine App auf Rezept aus?
Dr. Urula Kramer: Nur wenn eine digitale Gesundheitsanwendung als sog. Medizinprodukt zertifiziert ist – das ist für den Anwender erkennbar am CE-Kennzeichen – kann sie seit Oktober 2020 in einem neuen Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel- und Medizinprodukte BfArM, dem sog. DiGA-Verzeichnis, gelistet und danach als Kassenleistung auf Rezept verordnet werden. Im Bereich Krebs sind das derzeit – im Sommer 2025 – eine App, die dauerhaft und eine, die vorläufig in das Verzeichnis aufgenommen wurde.

Für die Verschreibung einer App sollten Betroffene zunächst ihren Arzt ansprechen

Ursula Kramer, Gründerin von HealthOn, HealthOn, einer Qualitätsplattform für Gesundheits-Apps

Welche Voraussetzungen muss eine App für die Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis erfüllen?
Dr. Ursula Kramer: Diese Apps haben alle eine sog. „Medizinische Zweckbestimmung“, d. h., sie dienen der Verhütung, Linderung oder Therapie von Erkrankungen und müssen den Nachweis dafür in einem sehr aufwändigen Verfahren erbringen. Die App-Hersteller müssen anhand von Studien zeigen, dass sie die Wirkungen, die sie bewerben, tatsächlich auch erbringen können. Außerdem müssen sie darstellen, ob es Risiken für die Anwender dieser Apps gibt und wenn ja, welche Schäden im schlimmsten Fall durch diese Anwendungen verursacht werden. Nur wenn sich die App mit einem vertretbaren Risiko für den Nutzer anwenden lässt und die Vorteile für den Patienten die Risiken übersteigen, können sie als Medizinprodukte in Verkehr gebracht werden.

Und was bedeutet eine vorläufige Aufnahme?
Dr. Ursula Kramer: Weil diese Studien in der Regel lange dauern und sehr teuer sind, hat der Gesetzgeber durch ein sogenanntes Fast-Track-Verfahren den Herstellern digitaler Anwendungen einen Sonderweg eröffnet. Als sicher eingestufte DiGAs können im Verzeichnis vorläufig gelistet werden. Hersteller haben dann 12 Monate Zeit, ihre Wirksamkeit nachzuweisen; die entsprechende DiGA wird in diesen 12 Monaten bereits von den Krankenkassen erstattet. Hersteller können eine Verlängerung der Erprobungsphase auf max. 24 Monate beantragen.

Gelingt es nicht, die Wirksamkeit in dieser Zeit zu belegen, wird die DiGA wieder aus dem Verzeichnis gelöscht. Kann ein Anbieter die Wirksamkeit bereits bei der Antragstellung überzeugend nachweisen, wird die App direkt dauerhaft ins Verzeichnis aufgenommen, d. h. sie kann dann auch dauerhaft von Krankenkassen erstattet werden.

Was muss ich tun, wenn ich eine solche App nutzen möchte?
Dr. Ursula Kramer: Apps, die auf Rezept verordnet werden können, sind ähnlich wie Arzneimittel nur für bestimmte Krankheitsbilder zugelassen, bisher gibt es nur für die digitale Therapie von Brustkrebs solche „Apps auf Rezept“. Am Anfang steht immer die gesicherte ärztliche Diagnose; sie ist die Voraussetzung für die Verordnung und Erstattung einer DiGA. Patient*innen sollten also immer zuerst ihren Arzt ansprechen, wenn sie digitale Therapiemöglichkeiten nutzen möchten.

Wenn die Diagnose feststeht und die betreffende App für diese Erkrankung zugelassen ist, können Versicherte auch bei ihrer Krankenkasse nachfragen.  Als Patient erhalte ich dann einen Freischaltcode, mit dem ich die App kostenfrei nutzen kann. Die Kasse erstattet dem Hersteller die Kosten. Ein frei zugängliches Verzeichnis der Apps, die derzeit erstattungsfähig sind, finden Interessierte im DiGA-Verzeichnis auf der Webseite des BfArM.

Sind denn Krebs-Apps, die nicht im DIGA-Verzeichnis gelistet sind, unwirksam?
Dr. Ursula Kramer: Die allermeisten Krebs-Apps für Betroffene sind keine Therapie-Apps im engeren Sinne, d. h. der/die Patient*in nutzt sie im eigenen Ermessen, um mit den Belastungen der Erkrankung in der Therapie- oder der Reha-Phase besser klarzukommen. Sie unterstützen mit Informationen, mit Tipps zur Lebensführung oder durch den Austausch mit anderen Betroffenen. Dazu braucht es – anders als bei den Therapie-Apps auf Rezept, den sog. DiGAs – keinen strengen Wirksamkeitsnachweis im Rahmen klinischer Studien. Aber auch diese Apps können helfen, z. B. die eigene Entscheidungskompetenz stärken, das Krankheitswissen erweitern, um so dem Kontrollverlust, den viele Menschen mit einer Krebserkrankung erleben, entgegenzuwirken.

Können Apps auch Schaden anrichten?
Dr. Ursula Kramer: Schädlich werden diese Krebs-Apps, wenn die gelieferten Informationen nicht korrekt oder durch Produkt- oder Firmeninteressen verzerrt sind. Oder wenn Nutzerdaten aus Tagebüchern oder Chats nicht hinreichend geschützt werden, so dass diese in unbefugte Hände gelangen. Bei einer App auf Rezept können sich die Nutzer*innen in diesem Punkt relativ sicher sein. Bei anderen Krebs-Apps sind sie selbst gefordert, diese Risiken einzuschätzen. Es gibt einige neuralgische Punkte, die man dazu abchecken kann, bevor man einer App vertraut. Die Europäische Union arbeitet derzeit an einem Siegel, dass Nutzer*innen von Apps bei der Einschätzung helfen soll. Bis dieses „Label2enable“ verfügbar sein wird, können Checklisten vom Aktionsbündnis Patientensicherheit oder von HealthOn Unterstützung bieten. Sie basieren auf den Qualitätskriterien „Gute Praxis Gesundheitsinformationen“ vom Netzwerk evidenzbasierte Medizin.

Können Sie abschließend sagen, wo die Vorteile und die Grenzen von Gesundheits-Apps liegen?
An den Einsatz von Apps knüpfen wir die Hoffnung, dass Betroffene mit den psychischen und körperlichen Belastungen einer Krebstherapie besser umgehen, aktiver mitwirken und mitentscheiden, so dass die Therapien besser wirken und verträglicher werden. Doch auch in der digitalen Welt wird Gesundheit kein Selbstläufer: Die aktive Mitwirkung des Patienten und das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis bleiben weiterhin die zentralen Pfeiler für den Therapieerfolg. Neue Möglichkeiten eröffnet die elektronische Patientenakte, ab Oktober speichern alle Ärzte die Behandlungsdaten dort für ihre Patienten ab. Dann kann jeder Patient selbst Befunde, Labordaten, Arztbriefe, Medikamentenpläne einsehen und diese medizinischen Informationen, wenn sie gebraucht werden, auch einfach mit Haus- und Fachärzten teilen.